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locked room mystery
Kurzgeschichte

Hercule Poirot näherte sich der schweren Eichentür leise, wie auf Zehenspitzen – der Tür, die jetzt einen kleinen Spalt weit offen stand, der Tür, hinter der vielleicht einer der spektakulärsten Mordfälle seiner Laufbahn geschehen sein würde ... und die eben erst von einem Polizisten mittels eines Dietrichs geöffnet worden war. Hercule Poirot lugte vorsichtig in das unheimliche Zimmer, in dem es, jedenfalls seinem Empfinden nach, merkwürdig roch – er versuchte, in dem dunklen Raum Umrisse zu erkennen und drückte dann die Tür mit allen Fingerspitzen seiner linken Hand langsam auf, allerdings nur soweit, daß er – und nur er – nun hineingehen und sich einen Eindruck verschaffen könnte von etwas, das die Nachbarn vor einigen Stunden als Höllenlärm an die Polizeistation gemeldet hatten und dessen Folgen er nun höchstwahrscheinlich in den nächsten Minuten gewahr werden würde. Er schloß die Tür hinter sich – ein Riegel, den er plötzlich laut niederfallen hörte, versperrte ihm den Rückweg.
Dann war absolute Stille um ihn – er war jetzt allein.

Eine halbe Stunde später, als sich die örtlichen Polizeikommissare allmählich doch Sorgen machten über die ganz und gar geräuchlose Untersuchung, die Hercule Poirot in dem verdächtigen Zimmer durchzuführen schien, erbrach man, nachdem man Poirot’s Namen mehrmals durch die schwere Eichentür gerufen hatte in der bangen und, wie sich herausstellte, vergeblichen Hoffnung auf eine wie auch immer denkbare Reaktion, bestenfalls ein Lebenszeichen von ihm selbst, die Tür mittels eines riesigen Stemmeisens, was einige weitere lange Minuten und, wie sich jeder denken kann, viel Kraft und Mühe kostete.

In dem sehr kurzen Polizeibericht, der noch in derselben Nacht eilig verfaßt wurde, las man am nächsten Morgen folgende lapidare Erklärung:
Hercule Poirot war, nach seinem Eintreten in das mysteriöse Zimmer, auf eine unbekannte Art und Weise lautlos zu Tode gekommen – Spuren, außer diesem leichten eigentümlichen Geruch, waren nicht zu finden, geschweige denn zu sichern gewesen.

Allerdings – eines war nicht zu übersehen:
Hercule Poirot lag, mit dem Gesicht nach unten und tot, auf dem Fußboden – und innerhalb einer weißen Kreideskizze, die irgendjemand, das konnte man feststellen, auf den Boden gezeichnet haben mußte, bevor Hercule Poirot das Zimmer betreten hatte.
Die Kreideskizze folgte präzise jedem Faltenwurf seines Gehrocks, jedem Schwung seiner pomadisierten Haarlocken, jeder einzelnen Krümmung seines leblos daliegenden Körpers – ja, jeder Spreizung seiner Finger.

Die Konturen seines Todes hatten ihn offensichtlich schon erwartet.

 
 

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